Ich habe die School for Games besucht, zumindest für eine Woche. Das ist eine private Hochschule in Berlin, die staatlich anerkannte Abschlüsse für Spiele-Macher anbietet. Im Juli 2022 war dort eine Schnupperwoche für alle Ausbildungen. Es gibt eine relativ neue Software namens Godot Game Engine, damit lassen sich 3D-Spiele entwickeln. Die wollte ich lernen. Ich schaute mich nach Kursen um und kam so zur School for Games. Wie sich herausstellte, wurde bei der Schnupperwoche gar kein Godot unterrichtet, sondern die Alternative Unity. Eine zweijährige Ausbildung abschließen wollte ich da auch nicht. Trotzdem meldete ich mich an.
Ankommen
Die Schule ist mitten in Friedrichshain, wo vor jedem Haus eine Markise ist, unter der es entweder arabisches oder veganes Essen gibt. Die Läden verkaufen Schallplatten und gebrauchte Partyklamotten, manchmal Fahrräder, es riecht streng nach Gras. Im zweiten Hinterhof einer ehemaligen Industrieanlage hat die Schule ungefähr zehn Seminarräume, einen großzügigen Eingangsbereich und ein paar kleinere Arbeitsräume. Wesentlich größer und luxuriöser als ich es mir vorgestellt hatte.
Zu der Schnupperwoche kamen knapp 20 Menschen. Die meisten waren um die 17 Jahre alt und alles andere als drauf und dran sich einzuschreiben. Manche gingen noch zur Schule. Andere wollten zwar eine Ausbildung machen, aber in einem ganz anderen Fach. Wieder andere guckten sich sehr viele Schulen an. Ich war also nicht der einzige, der für die 150 Euro Teilnahmegebühr einfach nur einen subventionierten Kurs haben wollte. Ich war auch nicht der einzige mit Vorkenntnissen. Einige konnten ausgezeichnet zeichnen, schreiben und hatten bereits in Spielefimen gearbeitet.
Tag 1: Alle Ausbildungen im Überblick

Der Schulleiter Enrico Rappsilber hielt einen langen Powerpoint-Vortrag. Davon war ich etwas enttäuscht, schließlich gehört zu den Werkzeugen der Spiele-Entwicklung eine Menge kreativer Methoden. Beispielsweise lassen sich echte Spiele auf dem Beamer zeigen. Wir bekamen nur Powerpoint und ein paar Gruppenarbeits-Klassiker vorgesetzt, deren Ergebnisse einige bereits vorher schon gegoogelt hatten. Alles in allem war es aber gut gemacht und immer noch weit über Uni-Niveau.
Seine Aussagen und Meinung waren eindeutig, die Sprache klar: Er hat fachlich hohe Ansprüche, auch an die Arbeitgeber seiner Absolventinnen. Wir sollten uns bitte nicht von unseren Wünschen abbringen lassen. So kann er “Marketing-Butzen” nicht leiden, die Werbung in Games machen. “Browsergames sind nicht die schönsten.” Free to Play hält er für Pay to Win. Und ein vernünftiges Entwicklungsstudio habe mindestens zehn Arbeitsplätze. Ich mag eine eindeutige Haltung, und seine kann er problemlos begründen.
Am Anfang ging es im Vortrag um das Berufsfeld. Wir recherchierten Spieleentwickler, Arbeitsplätze, Jobbeschreibungen. Das sollte wohl ein paar Interessengebiete und Arbeitsumfelder herauskitzeln, in denen wir arbeiten wollten. Ob es bei irgend jemandem geklappt hat, bin ich mir nicht sicher. Ich zumindest sehe mich nicht in der Unterhaltungsbranche, deshalb konnte ich damit nicht so viel anfangen. Aber die Firmen beschrieben zu bekommen war schon spannend. Organisationen aus dem Umfeld Soziales und Lernspiele fand ich leider nicht. Außer der Kastanie Eins, aber da arbeite ich zum Glück eh schon.
Im zweiten Teil des Tages erklärte Enrico ausführlich die möglichen Ausbildungen. Vier Semester dauern sie, es gibt drei verschiedene staatliche Abschlüsse. Game Graphics macht 2D und 3D Grafik, Game Engineering programmiert die Spiele. Game Development sprach mich am meisten an, dabei gestaltet man die Spielidee aus und fügt alle Arbeiten des Teams zusammen. In dem Fach gibt es die Spezialisierungen auf Production, wo es glaube ich mehr um Geld, Zeit und Ressourcen geht. Und eine Spezialisierung auf Game Design, wo Qualität und Funktionalität des Spiels im Zentrum stehen. Zumindest habe ich das grob so verstanden. Das war schon der erste Tag.
Erleuchtung
Ich hatte eine große Erleuchtung. Da ich immer als Dienstleister Auftragsarbeiten mache, übernimmt bei mir der Kunde oder meine eigene Projektleitung die Produktion. So weit war mir das klar. Aber den Job des Game Designers habe ich nie so klar gesehen. Ich erfinde in meinen Teams Spiele und programmiere sie. Wir gestalten das Grafische und regeln den technischen Betrieb. Ich habe aber nie eine professionelle Einschätzung, ob ein Spiel gut funktionieren könnte. Klar habe ich Erfahrungswerte aus eigenen Projekten, aber ich analysieren zum Beispiel wenig den großen Markt anderer Entwicklungen. Das wäre die Aufgabe des Game Designers.
Wenn wir im Team fertig programmiert haben, übernehmen bei uns die Kunden und geben ihre Lehrinhalte, Videos, Texte, Fotos, was auch immer ein. Als Webseiten-Agentur ist dieses Vorgehen total üblich und funktioniert gut. Von der Agentur kommen Technik und Design, bei den Inhalten hat der Kunde die Kontrolle. Vielleicht gibt es dann noch kleine technische Korrekturen, aber im Grunde arbeiten Webseiten-Agenturen erfolgreich so.
Spiele funktionieren so aber nicht. Sie sind enger verzahnt als Webseiten. Ein unpassendes Bild kann eine Story kaputt machen, eine Geschichte passt vielleicht nicht zu den Schaltflächen, die Gestaltung der Buttons beeinflusst den Spielverlauf. So hängt bei einem Spiel oder eigentlich jeder komplexen App alles zusammen. Deshalb muss nach der redaktionellen Arbeit der Kunden nochmal der Game Designer kommen und das Spiel in seinen Feinheiten abstimmen. Bisher ist das in meiner Arbeit nie geschehen, weil ich den Stellenwert dieses Jobs nicht kannte. Natürlich fiel mir oft auf, dass die Spiele nicht rund laufen. Und so folgten Analysen und Aufträge zur Korrektur. Ich bin sicher, mit einem Game Designer, der das Spiel bis zur Fertigstellung als Ganzes kontrolliert, wären viele Probleme direkt klar und könnten viel gezielter bearbeitet werden.
In Zukunft dürfen wir keine Programmierung und Grafik mehr verkaufen sondern ein Spiel erst an die Kunden übergeben, wenn es komplett spielbar ist. Um das hinzubekommen muss ich im Game Design eine Menge lernen. Sowohl fachlich als auch kommunikativ.
Tag 2: Game Design


Im Game Design macht man die Inhalte und Regeln des Spiels. Man definiert Ziele, und die Spielerin muss die Ziele erreichen. Auf dem Weg zu den Zielen muss die Spielerin motiviert bleiben, die Regeln befolgen und sinnvolle Entscheidungen treffen. Den zweiten Tag leitete Davide Leonardo, ein Absolvent der Schule und erfahrener Game Designer. Ein paar seiner Spiele kannten Leute aus meinem Kurs, was beide Seiten sehr freute.
Die Methodik bestand wieder aus extremem Powerpoint. Oft ging es um belanglose Definitionen und wurde fast schon philosophisch. Ich hätte gerne mehr mitgemacht oder wenigstens beim Powerpoint fachlich Tieferes erfahren. Nach der Mittagspause sollten wir in Vierergruppen ein Brettspiel erfinden und hatten dabei weitestgehend freie Hand. Für einen Kundenprojekt hätte ich mich tagelang vorbereitet, Möglichkeiten recherchiert und den Workshop genau durchdacht. An dem Tag galt aber: Wer am lautesten schreit hat automatisch die beste Idee. Zwei aus unserer Gruppe haben sich auch noch ausgeklinkt und Spielfiguren gezeichnet. Erstaunlicherweise haben wir trotzdem ein Spiel fertig bekommen und es angetestet, es hat Spaß gemacht. Die Spiele der anderen konnten wir leider nicht mehr ausprobieren. Insgesamt war es ein schöner Tag mit einem gut gelaunten und gut geführten Unterricht aber mittelmäßigem Lehrplan, und hey, wir durften basteln. Meine neue Begeisterung für Game Design wurde allerdings nicht befriedigt.
Tag 3: 3D-Design in Blender

Mit Blender werden 3D-Welten gebaut für Computerspiele und Filme. Eine Software in einem Kurs zu lernen halte ich generell für ein ungünstiges Format. Vorträge bringen meines Erachtens nicht viel, man muss das Programm selbst benutzen. Wenn aber alle im Raum das Programm selbst erkunden, stoßen sie nie auf die gleichen Probleme und brauchen ganz unterschiedliche Unterstützungen.
Unser Lehrer Lukas war wie schon Davide auch Absolvent der School for Games. Er setzte uns zum Glück kein Powerpoint vor. Überhaupt bekamen wir keine theoretischen Grundlagen erklärt, weder wie das Achssystem funktioniert, noch was für Objekte es gibt oder welche Fenster wir brauchen. Statt dessen starteten alle direkt mit einem selbstgewählten Projekt.
Während wir an den unterschiedlichsten Dingen bastelten, erklärte Lukas am Beamer über Stunden diverse Funktionen. Irgend jemand fand es immer wichtig und hörte zu. Es gab nur wenige Fragen, die er dann im Zweiergespräch beantwortete. Nützlich waren auch die Tipps von den Schülern links und rechts. Insgesamt habe ich deutlich schneller gelernt als ich es mit Youtube alleine geschafft hätte. Der Aufbau des Tages war definitiv der beste der Woche, und das trotz des sehr problematischen Themas.
Minecraft
Ich wollte mit groben Blöcken bauen, um mich nicht in Details zu verlieren. Also gestaltete ich ein Stück Stufe, Treppe, Mauer, Boden. Daraus baute ich meine Welt auf. Als zum Schluss noch Zeit war, animierte ich die Szene.




Manche waren nicht so motiviert ihre Szenen fertig zu bekommen 🙂
Erst zu Hause fiel mir auf, was ich die ganze Zeit unterbewusst gebaut hatte. Die Farben, Formen und Blöcke entsprechen denen von Nether-Festungen in Minecraft. Auch Eingänge und Türme gibt es dort natürlich.
Tag 4: Spiele-Entwicklung in Unity

Der Tag 4 war dem Tag davor recht ähnlich. Wir sollten ein Programm kennen lernen, aber diesmal nicht das der Grafiker, sondern das der Programmierer. Leider wählte die Schule dafür Unity aus, ich wollte ja Godot lernen. Aber Unity ist halt der Marktführer und im Beruf sehr wichtig. Unser Lehrer hieß Robin. Er war auch wieder ein sehr sympathischer Absolvent der Schule. Den Anfang machten Erklärungen über Versionskontrolle, insbesondere Git. Wir lernten Vektormanipulationen und die Vorteile von Quellcode-Editoren kennen. Auch einige Variablentypen haben wir an der Tafel erarbeitet. Nichts davon brauchten wir später.
Es dauerte eine Weile, bis alle mit ihrer privaten Mailadresse einen Unity-Login bekommen und das Programm heruntergeladen hatten. Da wäre etwas Vorbereitung von der Schule schön gewesen, immerhin sind die Rechner ansonsten gut administriert. Wir hätten auch Godot nehmen können, das war installiert und braucht kein Konto.
Die Leute waren mittlerweile sehr müde von den vorigen Tagen, wir hatten weit über 30° im Raum, die erste Stunde war wie gesagt wirklich nicht hilfreich, und Programmierung interessierte eh nur wenige. Trotzdem brachte Robin mit guten Erklärungen und einer angenehmen Art die meisten dazu, seine Arbeitsschritte nachzumachen. Für die Motivation war wahrscheinlich ausschlaggebend, dass keine Zeile Code geschrieben werden musste, sondern wir das Programm zusammenklicken konnten. Darüber äußerten einige ihre Begeisterung.
Was folgte, war der nächste Dämpfer. Das von Robin auf dem Beamer entwickelte Programm lief nicht gut, der Spieler-Charakter ließ sich kaum steuern. Robin fehlte wohl Fachwissen, aber schlimmer die Einsicht, dass niemand in der Lage war jetzt auf Fehlersuche zu gehen. Er hätte uns einen fertigen Third-Person-Controller geben können, damit wir uns das alles bis hierhin hätten sparen können und das Spiel technisch vernünftig grundlegend funktioniert hätte. Hat er aber nicht.
So hatte niemand die Chance ein schönes Level zu bauen, darin herumzuspielen, kreativ neue Funktionen einzubauen oder sich einfach über Unity zu freuen.



Mein Fazit für die drei Tage mit “richtigem” Unterricht: Die Dozenten waren sehr gut, haben alle motiviert. Aber sie hatten offensichtlich keinen Plan bekommen, was sie wann genau zeigen sollten, und das war zumindest an Tag 4 mit Unity ein großes Problem.
Tag 5: Verabschiedung

Der ganze letzte Tag war irgendwie dafür da, um die Begeisterung für die Schule anzufeuern und aus Schnupperkurs-Teilnahmen Bewerbungen zu machen. Conversion-Rate-Optimierung nennt man das glaube ich. Das Marketing lief sehr professionell ab, viel besser durchdacht als die fachlichen Kurse.
Die Assistentin Sarah fragte die sicheren Bewerber, warum sie sich bewerben, und sorgte so für eine gute Stimmung. Wir bekamen “Feedback-Fragebögen”, die aber eigentlich Lead-Generierung waren: Die Hälfte des Bogens bestand aus der Abfrage von persönlichen Daten und der Einwilligung zur Datennutzung. Danach schlüsselte sie uns die Kosten der Ausbildung auf. Um die 18000 Euro möchte die School for Games bis zum Abschluss nach vier Semestern haben. Wir erfuhren auch, welche staatlichen Fördertöpfe wir dafür anhauen könnten.
Nachdem alle in der Spur waren, kam Davide von Tag 2 dazu. Er erklärte, wie die Bewerbung für die Schule abläuft und was wir für eine erfolgreiche Bewerbung zeigen sollten. Als Game Developer sollte man schon mal Maps erstellt haben z.B. für Portal 2. Modifikationen für vorhandene Spiele programmieren zu können ist nützlich. Ein eigenes Kartenspiel ist gerne gesehen, und man sollte nach Möglichkeit eine eigene Computer-Spiel-Idee auf fünf Seiten ausgearbeitet zeigen (High Concept). Für mich klingt das alles nach einer spaßigen kleinen Aufgabe, aber ich bin nicht die Zielgruppe.
Nach der Mittagspause bekamen wir edel gedruckte Zertifikate. Außerdem schoss Sarah ein Abschlussfoto, das sie uns drei Tage später per Mail schickte. So erreichte uns eine emotionale Auffrischung der persönlichen Erinnerungen an den Kurs genau in dem Moment, in dem wir uns für die Bewerbung endgültig entscheiden sollten.
Am Ende lernten wir echte Schüler kennen und sahen ein laufendes Projekt. Es handelte sich um einen U-Boot-Simulator mit Joystick-Steuerung namens Pelagos. Wir bekamen lehrbuchmäßig die wichtigsten Dokumente des Game Designs auf den Beamer, sahen Concept Art und die Teamstruktur. Methodisch war die Gruppe also richtig fit. An Erfahrung in der Umsetzung mangelte es natürlich noch ein bisschen. Leider funktionierte von dem Klassensatz Joysticks nur ein einziger halbwegs. Fast alle Kursteilnehmer kamen also gar nicht mit Schülern in Kontakt. Schade, die Atmosphäre gefiel mir, ich hätte gerne mehr gesehen.
